Wenn es draußen kalt wird, werden die Crashpads abgestaubt und ins Auto gepackt. Meistens liegen sie dann im Maltatal unter den Blöcken, oder wenn etwas mehr Zeit ist, auch im Tessin. Das klingt alles wunderbar, außer man war schon gefühlte tausend mal dort. Also muss etwas Neues her, aber es ist nur eine Woche Zeit: Rocklands fallen weg, Bleau waren wir schon und wir wollen nirgends mit dem Auto hin, wegen dem Klimaschutz (oder der Faulheit).

Albarracín waren wir noch nicht. Es soll gut sein. Sehr gut. Über Sylvester wollen wir dort bouldern. Die Truppe könnte unterschiedlicher nicht sein: Shimmy, der ohnehin nichts Anderes als bouldern im Kopf hat, organisiert alles. Grade trainiert wie ein Irrer, damit er einen halben Grad schwerer bouldern kann, als alle anderen. Eli ist routiniert und entspannt. Lomo war zu oft im Studio und passt nicht mehr unter die Blöcke. Emily ist das erste mal mit auf einem Trip. Mateja bouldert überhaupt zum ersten Mal draußen. Jule war auch schon öfter mit, überrascht aber immer wieder in allen Beziehungen. Der Nudler war schon ewig nicht mehr draußen und ahnt Schlimmes.

Die erste Crux für Jule befindet sich gleich am Flughafen Triest, wo sie ihn nicht einsteigen lassen wollen, weil sein Pass seit drei Jahren abgelaufen ist. Der Herr von der Fluglinie lässt nicht mit sich verhandeln, es könnte im egaler nicht sein. Also steigen wir ohne Jule ins Flugzeug und fragen uns, wer für unsere Unterhaltung sorgen wird. Fünf Minuten vor Abflug wird er doch noch von der Fluglinie ins Flugzeug gesteckt, wahrscheinlich hat er sie in einer Stunde so genervt, dass sie ihn schnellstmöglich loswerden wollten.

In Valencia sind wir ins überteuerte Mietauto gestiegen und nach Norden gebraust. Lomo hat im Lokal Lomo bestellt und alle waren glücklich.

Der erste Bouldertag hat das bestätigt, was wir uns erhofft hatten: Es ist geil, vielleicht das geilste Gebiet bis jetzt. Von Dächern mit Henkeln bis Bleau-Mantlern ist alles da, in höchster Konzentration. Der Parkplatz war voll, es hat sich aber trotzdem gut verteilt unter den Blöcken.

Die Boulderei an sich lässt – wenn man fit ist – Nichts zu wünschen übrig. Nur Jule tat sich schwer, ein passendes Problem zu finden, schließlich gibt es nur 10.000 Blöcke. Grade und Shimmy haben gleich darauf los routiniert und mit der gnadenlosen Klassiker-Wiederholungsorgie angefangen, die sie in den nächsten Tagen mit unterschiedlichem Erfolg weiter betrieben haben.

Emily hat sich die Probleme hochgesudert, weil igrendwas passt ja bekanntlich immer nicht, und wenn es die Schuhe sind. Mateja war am Anfang etwas überwältigt von den Möglichkeiten, aber mit den Tagen kamen  Zuversicht, Sicherheit und Begehungen.

Jule hat sich am zweiten Tag einen Boulder ausgesucht, den a) keiner kennt, b) keiner mag und der c) schlecht abzusichern ist, damit er sich das Fersenbein prellen kann, um den Rest des Trips herumzuhumpeln, medizinisch fragwürdige Hypothesen aufzustellen und trotzdem schwere Boulder abzuziehen. Ein Phänomen, der Mann.

Wir haben uns – wie im noblen Restaurant – sozusagen das Tasting Menue gegönnt und von allen Sektoren die Klassiker gesehen, Grade hat sie alle gemacht – entweder im Flash oder in wenigen Versuchen. Shimmy  hat ein paar Versuche mehr gebraucht und die russische Methode, die wir von ihm schon seit Brione kennen, noch weiter perfektioniert: Wenns beim 10. Versuch nicht geht, dann eben beim 57. Eine Haut wie ein Elephant, der Mensch, bevorzugt von den Bouldergöttern.

Eli, der auch schon mal fitter war, hat trotzdem viele coole Dinger gezogen und war wahrscheinlich am entspanntesten von Allen.

Apotherkerlehrling Grade hat alle erdenklichen NEMS, Salben, Tinkturen und andere Hilfsmittel angewendet, selbstredend auch essentielle Aminosäuren. Selbige hat er gnädigerweise auch an den Nudler verabreicht, leider ohnen nennenswerten Erfolg.

Doping hilft eben nur, wenn man davor auch trainiert hat.

Lomo war etwas enttäuscht, denn in der Vergangenheit gings eineinhalb Grade schwerer, aber er sah ob seines muskulösen studioverwöhnten Torsos wahrscheinlich am besten aus.

Highlights waren sicher die erste FB 7a von Emily, die sich sichtlich darüber nicht gefreut hat, warum weiß niemand auch sie selbst nicht.

Grade war fit, aber wir hätten uns schwerere Begehungen gewünscht, schließlich trainiert der Mann 724 Mal die Woche mit insgesamt 104 Tonnen Zusatzgewicht. Die Ehre gerettet hat er immerhin mit dem erbärmlichsten Mantle aller Zeiten auf nassen Mikroleisten in furchteinflößender Höhe, Stiftfaktor 1000.

Ehrlicherweise muss man schon anmerken, dass vielleicht die erwartete 8a von unserem Trainingsehepaar Shimmy/Grade nicht gefallen ist, dafür aber die Range ihres Könnens schon beeindruckend war: Von der Platte bis zum Überhang in allen Styles haben sie gute Figur gemacht und das meiste geknackt, auch wenn der persönliche Liegefaktor nicht immer gegeben war. Vielseitigkeit nennt man das.

Dass das Mantlen auch nicht die Paradedisziplin von Jule ist, musste er leidvoll an verschiedenen Stellen seines Körpers spüren, die normalerweise keinen Felskontakt haben. Trotzdem hat er viel gelernt beim Manteln und unter Zuhilfenahme des berüchtigten Maria Zellers die Probleme schließlich ausgetoppt.

Der Nudler hat mit viel Routine sich in Problemen mit Liegefaktor gequält, war aber einfach zu schwach. Am zweiten Tag saß er am Crashpad und dachte mit Wehmut an seinen ersten 8a Boulder und hätte am liebsten alle Boulder um sich herum um drei Grade aufgewertet. Aus Frust hat er den Startgriff eines Klassikers kaltverformt (liegt jetzt im Boulderama), aber immerhin eineinhalb 7c Probleme punkten können. Beim ersten hat er zugegebenermaßen die Matte leicht gestreift, was ihm aber vollkommen egal war, auch wenn es von der Ethikpolizei sofort geahndet wurde.

Beim zweiten war zwar ethisch alles in Ordnung, nur hat es keiner von der offiziellen Boulderbegehungsbeglaubigungskommission gesehen, dafür aber 30 Spanier, aber die versteht man leider nicht. Es ist dem Nudler aber sowieso einerlei, schließlich ist er in einem Alter, in dem er für sich selbst bouldert und nicht für die Ticklist.

Am Ende waren alle fertig und froh, wieder im Boulderama sein zu können, wo die Zusatzgewichte schon Staub angelegt hatten.

Bericht: Chris Rainer
Fotos: © Chris Rainer, Julian Fian